Der Regler by Max Landorff

Der Regler by Max Landorff

Autor:Max Landorff [Landorff, Max]
Die sprache: deu
Format: epub, mobi, azw3
ISBN: 9783104014043
Herausgeber: Fischer e-books
veröffentlicht: 2011-05-19T22:00:00+00:00


Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen,

Oberlauf Isar, 15 Uhr

Sie ließ ihre Finger über sein Rückgrat wandern. Schritt für Schritt, von Wirbel zu Wirbel, näherten sie sich dem Hals. Es war keine entschlossene Bewegung, sondern eine zögernde, zarte. Er lag auf dem Bauch, die Arme unter dem Kopf verschränkt, das Gesicht von ihr abgewandt. Sie lag seitlich neben ihm, auf den Ellenbogen gestützt. Seine Badehose war schwarz, seine Haare waren schwarz, seine Haut gebräunt, die Farbe der Südländer, dachte sie.

Eben hatte sie ihn einfach geküsst, mitten in seinem Satz über die Kraft des Wassers, das Steine schleifen könne … Es war einer dieser Sätze gewesen, die man sagt, um einfach irgendetwas zu sagen, manchmal auch, um etwas anderes nicht zu sagen. Ihr erster Freund hatte sie selbst einmal so beschrieben: »Du verhüllst dich mit Worten, du versteckst dich hinter Sätzen.« 15 war sie damals gewesen und sehr wütend geworden. Aber von diesem Tag an hatte sie ein Gespür für solche Sätze. Weich war der Kuss gewesen, ganz weich. Und jetzt rauschte nur noch das Wasser. Die Isar war an ihrem Oberlauf ein reißender Fluss und konnte richtig laut rauschen.

Fiona Neustadt hatte zwei Badetücher mitgebracht, große, rotweißgestreifte, die sie keine zehn Meter vom Wasser entfernt auf dem Kies ausgebreitet hatte. Auf diesem sympathischen Kies mit den rund- und flachgeschliffenen Steinen. Das Schlauchboot mit den beiden Paddeln und der Tasche mit den Getränken war daneben an Land gezogen, ihre Kleider hingen über den Luftschläuchen in der Sonne. Das grüne Wasser mit den weißen Schaumkronen war um diese Jahreszeit noch viel zu kalt zum Baden. Angenehm warm wurde es nie, aber jetzt hatte es höchstens 14 Grad. Sie hatten sich nur kurz mit dem Wasser erfrischt und die Füße gekühlt.

Sie hatte Gabriel Tretjak schon viel von sich erzählt. Ein hübsches Bild hatte sie gemalt, wie auf einer alten Postkarte. Von sich als kleinem Mädchen, das in genau diesem Schlauchboot mit seinem Vater die Isar hinunterfährt, an derselben Stelle bei der Tattenkofer-Brücke haben sie es ins Wasser eingesetzt. Und genau hier, in der großen Kurve vorm Zufluss des Loisachkanals, halten sie an, um eine Pause zu machen, und das Mädchen hüpft an Land. Die Mutter kam in dem Gemälde vor in ihren geblümten Kleidern, die weiße Bungalowsiedlung am Waldrand, und ein Hund, Aki, ein Salz-und-Pfeffer-Schnauzer, der später von einem Lastwagen überfahren wurde. Es sind doch solche Gemälde, dachte Fiona Neustadt, immer sind es solche Gemälde, die man austauscht, wenn man dabei ist, sich zu verlieben.

Der Mann, der ihr eine Stunde im Schlauchboot gegenübergesessen hatte, war ein geduldiger Zuhörer. Oder jedenfalls beherrschte er die Kunst, so zu wirken, als würde er zuhören. Manchmal hatte sie den Eindruck, dass sein Blick nach innen kippte. Aber das war schließlich kein Wunder, der Mann hatte Probleme. Sie fragte sich, wie sie diesen Blick interpretiert hätte, wenn sie nicht über diese Probleme Bescheid gewusst hätte. Vielleicht hätte er sie misstrauisch gemacht.

Ihre Hand streichelte seinen Nacken. Er drehte sich auf den Rücken und schaute sie an, blinzelte gegen die Sonne. Sie küsste ihn noch einmal.



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